Shitstorm – PR-Katastrophen im Netz

Geht es um das Klima in sozialen Netzwerken, werden Social-Media-Manager praktisch zu Wetterfröschen: Denn schon der kleinste Windzug kann sich binnen Stunden zum Sturm der Entrüstung wandeln. Hier gilt es, das Meer der Nutzerbeiträge im Blick zu behalten. Kommt es zu einer Empörungswelle, bleibt meist nur wenig Zeit, die Wogen zu glätten, bevor die Stimmung überschwappt. Wie schnell das gehen kann, zeigen die zahlreichen Social-Media-Krisen der vergangenen Jahre.

Immer wieder werden Unternehmen im Internet von kommunikativen Unwettern überrascht. Die Medien haben für dieses Online-Phänomen den Begriff „Shitstorm“ geprägt. Das klingt nicht nur eklig, sondern führt in vielen Fällen zu einem signifikanten Imageschaden. Entlädt sich die Wut der Internetgemeinde in einem Shitstorm, bleibt der üble Geruch mitunter über Jahre haften.

Verhindern lässt sich dies durch ein schnelles, angemessenes Krisenmanagement. Wir beleuchten das Thema Shitstorm im Kontext der Krisenkommunikation, zeigen den üblichen Verlauf von Social-Media-Krisen an bekannten Beispielen auf und stellen einige allgemeine Kommunikationsrichtlinien vor.

Was ist ein Shitstorm?

Als Shitstorm bezeichnet man in Deutschland das geballte Auftreten heftiger Kritik gegen Einzelpersonen, Personengruppen oder Unternehmen auf Social-Media-Profilen, Blogs und anderen Webauftritten mit Kommentarfunktion. Von „öffentlichen Empörungswellen“ oder einem allgemeinen „Sturm der Entrüstung“ grenzt sich das Internetphänomen durch seinen lawinenartigen Charakter und eine hochemotionale zum Teil aggressiv-beleidigende Wortwahl ab.

Der Begriff „Shitstorm“ (Übersetzung: shit = Scheiße, storm = Sturm) entstammt dem englischen Sprachraum, wird dort im Gegensatz zur deutschen Verwendung allerdings nicht ausschließlich zur Bezeichnung des Internetphänomen verwendet, sondern kann sich auch allgemein auf unangenehme Situationen beziehen. Im Oxford Dictionary findet man eine Shitstorm-Definition, die das Phänomen als „A situation marked by violent controversy” definiert und als vulgären Jargon markiert. In der angelsächsischen Berichterstattung sucht man das Modewort, das es in Deutschland zum Anglizismus des Jahres 2011 und in der Schweiz zum Wort des Jahres 2012 geschafft hat, vergeblich. Hierzulande füllt der Begriff eine lexikalische Lücke. Die breite Akzeptanz im deutschen Sprachraum lässt sich auf den Lehnwortcharakter zurückführen, der die Derbheit weitestgehend aufweicht.

Dass sich Internetnutzer im Rahmen von Shitstorms immer wieder zu aggressiven, vulgären oder menschenverachtenden Kommentaren hinreißen lassen, wird auf Enthemmungseffekte der Online-Kommunikation zurückgeführt. Oft werden Stellungnahmen im Netz als risikolos betrachtet. Grund dafür ist die vermeintliche Anonymität der Online-Welt.

Richtet sich ein Shitstorm gegen Prominente oder Privatpersonen, gibt es Überschneidungen zum Phänomen des Cyber-Mobbings, das verschiedene Formen der Diffamierung, Belästigung oder Nötigung von Einzelpersonen beinhaltet. Steht der sprachliche Ausdruck von Hass mit dem Ziel der Herabsetzung oder Demütigung im Mittelpunkt der „digitalen Steinigung“, können einzelne Kommentare im Rahmen eines Shitstorms als Hate Speech gewertet werden und eine strafrechtliche Relevanz bekommen. Im Deutschland fallen Äußerungen, die zum Hass aufstacheln, unter das Äußerungsdelikt Volksverhetzung. Zudem können Kommentare im Internet den Tatbestand der strafbaren Beleidigung, der üblen Nachrede und der Verleumdung darstellen.

Verlauf eines Shitstorms

Jedem Shitstorm liegt ein auslösendes Ereignis zugrunde. Im Unternehmenskontext stehen dabei kontroverse Aktivitäten, Kommunikationsfehler, offenkundige Missstände oder enttäuschte Erwartungen im Vordergrund. Oft sind Shitstorms ein Ausdruck von Kundenunzufriedenheit oder eine Reaktion auf einen Verstoß gegen Wertesysteme. Das kommunikative Unwetter beginnt in der Regel mit vereinzelten Kommentaren. Verbraucher nutzen dialogorientierte Kommunikationskanäle, um öffentlich sichtbare Kritik zu üben und die Macht des Konsumenten zu demonstrieren. Das Unternehmensprofil im sozialen Netzwerk wird so schnell zum digitalen Pranger. In einen Shitstorm münden kritische Kommentare jedoch erst dann, wenn Meinungsäußerungen ein Echo in der Community finden und in kurzer Zeit eine Vielzahl an Unterstützern zu ähnlichen Reaktionen animieren. Diese entfernen sich im Laufe des Shitstorms nicht selten vom ursprünglichen Thema und schlagen von sachlicher Kritik in unflätige Beschimpfung über. Ein Merkmal, das die derbe Bezeichnung für dieses Internetphänomen erklärt. Eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der öffentlichen Empörung nimmt die massenmediale Berichterstattung ein. Ohne Medienecho stellt ein steigendes Aufkommen negativer Kommentaren in sozialen Netzwerken lediglich eine Störung dieses Kommunikationskanals dar. Zur Krise wird ein Shitstorm, wenn der Vorfall Beachtung in den Massenmedien findet. Erst dann steigt der Druck auf den Adressaten, der sich der Kritik nun wohl oder übel stellen muss. Der Verlauf eines Shitstorms lässt sich anhand von Phasenmodellen sichtbar machen. Das Social-Media-Monitoring-Unternehmen BIG (Business Intelligence Group) hat diesbezüglich eine Einteilung in drei Phasen vorgeschlagen, die den Anfangs-, Wende-, und Endpunkt eines Shitstorms kennzeichnen:

  • Pre-Phase: In der Pre-Phase liegt das Beitragsaufkommen auf Normalniveau – Anzahl und Tonalität der Beiträge zeigen keine Auffälligkeit.
  • Akute-Phase: Die akute Phase bezeichnet den eigentlichen Shitstorm als ungewöhnlich hohes Aufkommen negativer Beiträge. In dieser Phase erreicht die Beitragsanzahl ihren Höhepunkt. Oft fällt dieser mit dem Zeitpunkt zusammen, an dem sich die Massenmedien einschalten und für zusätzliche Aufmerksamkeit sorgen. Folgen keine weiteren Ereignisse (z. B. Kommunikationsfehler), die den Shitstorm weiter anfachen, zeigt sich nach dem maximalen Beitragswert ein Abschwung, mit dem die akute Phase ausklingt.
  • Post-Phase: Die Post-Phase kennzeichnet den Nachklang eines Shitstorms. Auch wenn sich das Beitragsaufkommen auf dem kritischen Kommunikationskanal normalisiert hat, bleiben Krisen-Themen im Netz präsent: Das Internet vergisst nie.

Seine brachiale Gewalt entwickelt ein Shitstorm in erster Linie durch den raschen Anstieg kritischer Kommentare in der akuten Phase. Gerade in sozialen Netzwerken verbreiten sich Protest und Empörung wie ein Lauffeuer. Dabei werden Themen nicht selten aus dem Zusammenhang gerissen, perspektiviert und tendenziös kommentiert. Die Geschwindigkeit der Online-Kommunikation macht es Betroffenen oft unmöglich, kleinere Empörungswellen abzufangen, ehe diese sich zu Tsunamis aufschaukeln. Richtet sich ein Shitstorm gegen Unternehmen, zeigt sich im Netz meist eine schnelle Solidarisierung mit kommentierenden Privatpersonen. Man spricht in diesem Zusammenhang vom „David-gegen-Goliath“-Prinzip, bei dem sich eine Gruppe vermeintlich schwacher Betroffener gegen große als übermächtig wahrgenommene Konzerne richtet. Mitunter geraten Unternehmen so auch unverschuldet in die Shitstorm-Falle.

Beurteilung von Shitstorms

Im Rahmen der Social-Media-Marketing-Konferenz 2012 haben die Schweizer PR-Experten Barbara Schwede und Daniel Grad eine sechsstufige Shitstorm-Skala entwickelt, die sich wie ein Wetterbericht für Social-Media-Krisen liest. Vom leisen Zug mit vereinzelten Negativkommentaren über eine frische Brise mit anhaltender Kritik bis hin zum Orkan mit aufgepeitschtem Publikum und einer Ausbreitung im Schneeball-Effekt bietet die Shitstorm-Skala Unternehmen eine Möglichkeit, die ihnen entgegenschwappende Empörungswelle zu beurteilen.

Die Auswirkung eines Shitstorms auf den Ruf des Unternehmens lässt sich anhand der Anzahl negativer Kommentare einschätzen. Zudem geben die Persistenz (Dauerhaftigkeit) der Beiträge und die Relevanz der Plattform, auf der es zum Shitstorm kommt, einen Hinweis darauf, ob es sich um ein vorübergehendes Stürmchen ohne Folgeschäden oder eine ausgewachsene Krise handelt.

  • Beitragsanzahl: Das Ausmaß eines Shitstorms zeigt sich an der Anzahl der Negativkommentare in Relation zum Normalwert.
  • Persistenz: Mit Persistenz ist im Rahmen von Online-Aktivitäten die Dauerhaftigkeit von Kommentaren in sozialen Netzwerken oder auf Online-Medien wie Blogs und Webseiten gemeint. Diese hängt mit der technischen Umsetzung der jeweiligen Internetplattform sowie mit der Verfügbarkeit von Kontrollmöglichkeiten zusammen.
  • Relevanz: Ob negative Kommentare von einer großen Anzahl an Internetnutzern wahrgenommen werden und damit Potenzial haben, Unternehmen nachhaltig zu schaden, hängt maßgeblich mit der Reichweite und Sichtbarkeit der jeweiligen Plattform zusammen, auf der die Beiträge erscheinen.

Die bekanntesten Shitstorm-Beispiele der vergangenen Jahre

Wie sich ein Shitstorm entwickelt und welche Gegenmaßnahmen Unternehmen oder Privatpersonen treffen können, um dem öffentlichen Aufschrei entgegenzuwirken, lässt sich am besten an Beispielen diskutieren.

DELL Hell: Warum man Kundenkritiken erst nehmen sollte

Den ersten großen Shitstorm der Netzgeschichte löste der US-amerikanische Blogger und Journalismus-Dozent Jeff Jarvis im Jahr 2005 aus. Frustriert über die Produkte und den Kundenservice des Computerherstellers DELL, starte Jarvis auf seinem Blog eine Reihe von Posts, in denen er seinem Ärger öffentlich Luft machte. Der Großkonzern schenkte der Kritik unter der Überschrift „Dell lies. Dell sucks“ anfangs keine Beachtung. Diese bekam Jarvis allerdings von seinen Lesern.

Immer mehr Internetnutzer solidarisierten sich mit dem Blogger, der im Netz über eine beachtliche Reichweite verfügt, und steuerten in Kommentare eigene Erfahrungen mit dem Computerhersteller bei. DELL sah sich in kürzester Zeit mit einer Empörungswelle in bis dato unbekanntem Ausmaß konfrontiert. Die Absätze rutschten in den Keller. Zahlreiche Medien berichteten über den Vorfall, der als DELL Hell (DELL Hölle) in die Netzgeschichte einging.

Letztendlich investierte DELL nach eigenen Angaben 150 Millionen Dollar in Spezialisten, die sämtliche Social-Media-Kanäle nach kritischen Stimmen durchforsteten und aufgebrachten Kunden auf Augenhöhe begegneten. Nicht zuletzt, weil es dem Konzern gelang, die Kritiker zu beruhigen, gilt die DELL Hell heute als Musterbeispiel für das Phänomen Shitstorm und die Effektivität eines professionellen Krisenmanagements.

Nestlé: Die Macht viraler Videos

Mit seinem Schokoriegel KitKat provozierte der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern Nestlés zwar nicht den ersten, dafür aber den bekanntesten Shitstorm der Geschichte. Initiator war die Umweltorganisation Greenpeace, die Anfang 2010 ein schockierendes Video auf YouTube lancierte und damit so manchem Nestlé-Kunden gehörig den Appetit verdarb. Zu sehen war ein Mann, der ein KitKat aus der Verpackung wickelt, statt dem knackigen Schokoriegel jedoch einen blutigen Orang-Utan-Finger in den Händen hält.

Mit dem Video stellt Greenpeace die auf Palmöl basierende Schokoladenproduktion bei Nestlé in einen direkten Zusammenhang mit dem Artensterben im Indonesien Urwald. Die Botschaft: Wer KitKat isst, trägt eine Mitschult an der Zerstörung von Lebensräumen durch den umstrittenen Palmöl-Produzenten Sinar Mas. Das Affenblut klebt auch an den Fingern des Endverbrauchers. Dem Hersteller Nestlé gefiel diese Darstellung gar nicht.

Bereits im Sog des Shitstorms erwirkte der Lebensmittelkonzern kurzerhand die Löschung des Videos durch den Plattformbetreiber YouTube und verbannte kritische Kommentare vom eigenen Facebook-Profil – die denkbar schlechteste Strategie im Rahmen der Krisenkommunikation. Denn die Verschleierungstaktik fachte die öffentliche Empörung nur noch weiter an, sodass sich das Greenpeace-Video in kürzester Zeit auf unzähligen Webseiten fand. Letztendlich beugte sich der Großkonzern dem Druck der Netzgemeinde und wechselte seinen Palmöl-Lieferanten.

Schlecker: Unternehmenskommunikation ohne Fingerspitzengefühl

„For You. Vor Ort“ – mit diesem Slogan wollte die inzwischen insolvente Drogerie-Kette Schlecker die Nähe zum Kunden demonstrieren. Nach einer Personalveränderung im Bereich der Außendarstellung sollte der Sprachenmix das angestaubte Image des Konzerns aufpolieren und internationales Flair vermitteln. So weit, so gut. Als wenig erbaulich wurde der Slogan jedoch vom Verein für Sprachpflege empfunden. Dieser hat es sich zu Aufgabe gemacht, dem Vormarsch des Denglischen entgegenzutreten und „Sprachsünder“ öffentlich anzuprangern. Auch Schlecker traf Kritik. Diese wollte sich die Unternehmenskommunikation so aber nicht gefallen lassen. Und somit redete man sich öffentlich um Kopf und Kragen. „For You. Vor Ort“, sei keine plumpe Sprachpanscherei, sondern lediglich ein Motto, das auf den durchschnittlichen Schlecker-Kunden zugeschnitten sei: dem Pressesprecher zufolge „Menschen mit niedrigem bis mittlerem Bildungsniveau“. Man habe es hier nicht mit „reflektierten Sprachverwendern“ zu tun. Dieses Statement amüsierte Journalisten und sorgte bei der Schlecker-Zielgruppe für Empörung. Gemeinsam holte man im Netz zum Gegenschlag aus und überzog das Unternehmen und dessen unsensiblen Sprecher mit einem gehörigen Shitstorm, der mit Fug und Recht als selbstverschuldet betrachtet werden kann.

Blutige Europameisterschaft: tote Hunde für den Fußball?

Deutlich ernsthafter ist der Hintergrund eines Shitstorms, dem sich die UEFA im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft 2012 gegenübersah. Wie jedes Gastgeberland wollte sich auch die Ukraine bei dem internationalen Ereignis im besten Licht präsentieren. Dafür sollten die zahlreichen Straßenhunde vor dem Turnierauftakt aus dem Stadtbild der Spielstätten verschwinden. Also entschied man sich, die heimatlosen Tiere systematisch zu vergiften und anschließend zu verbrennen.

Tierschützer weltweit liefen Sturm und sensibilisierten Internetnutzer für das Schicksal ukrainischer Straßenhunde. Rufe nach einem EM-Boykott wurden laut. Große mediale Aufmerksamkeit erhielten die Tierrechtsorganisation PETA und die Facebook-Seite „Stop Killing Dogs“. Als der Shitstorm seinen Höhepunkt erreiche, distanzierten sich selbst Sponsoren des Sportereignisses von den grausamen Vorgängen, um einen Imageschaden zu entgehen. Letztendlich beschloss die ukrainische Regierung, Maßnahmen gegen das massenhafte Töten von Straßenhunden einzuleiten. Heute setzt das Land auf Kastration, um der unkontrollierten Vermehrung von heimatlosen Tieren entgegenzuwirken.

O2-Servicefail: Wir sind Einzelfall

Gestörte Datenverbindungen und Gesprächsabbrüche sind in Ballungsräumen keine Seltenheit. Treten Überlastungsprobleme auf, ist es die Aufgabe von Mobilfunkbetreibern, verärgerte Kunden zu besänftigen und die Störungsursache so schnell wie möglich zu beheben. Der Anbieter O2 tat sich mit beidem schwer. Darauf lässt zumindest eine Empörungswelle schließen, die sich im Jahr 2011 zum Shitstorm aufschaukelte.

Auslöser war der Blog des IT-Entwicklers Matthias Bauer. Unter der Überschrift „Wir sind Einzelfall“ ärgerte sich der O2-Kunde öffentlich über den Kundenservice seines Mobilfunkbetreibers. Auf monatelange Netzüberlastungen angesprochen betonte dieser kontinuierlich den Einzelfallcharakter von Bauers Problem. Ausfälle seien „zeitweisen Störungen“ und lediglich „örtliche begrenzt“. Diese Aussagen konnte der Blogger eindrucksvoll widerlegen.

Auf der inzwischen eingestellten Website „wir-sind-einzelfall.de“ stellte Bauer ein Online-Formular bereit, das anderen O2-Kunden ermöglichte, eigene Erfahrungen mit dem Mobilfunkbetreiber zu veröffentlichen. Ein Angebot, das bereits in den ersten sechs Tagen mehr als 700 Kunden wahrnahmen. Binnen kürzester Zeit meldeten sich Tausende Betroffene und bescherten O2 ein ernsthaftes Imageproblem. Dem öffentlichen Druck ausgesetzt, räumte der Mobilfunkbetreiber schließlich ein, dass es sich bei der Vielzahl an Beschwerden nicht um Einzelfälle handeln konnte, und kündigte einen Netzausbau an.

ING-DiBa: Nowitzki und die Wurst

Dass sich die Richtung eines Shitstorms im Verlauf seiner Entwicklung durchaus ändern kann, zeigt eine Empörungswelle gegen ING-DiBa aus dem Jahr 2012. In einem Werbevideo lichtete die Direktbank den Basketballspieler Dirk Nowitzki beim Essen einer Scheibe Wurst ab. Veganer aus ganz Deutschland liefen Sturm und überzogen das Unternehmen auf Facebook mit kritischen Kommentaren, die die unverhohlene Darstellung des Fleischkonsums anprangerten.

ING-DiBa hielt die Füße still und ließ den Mob wüten. Ein Unternehmenssprecher betonte: „Wir wollen nichts zensieren und sind für eine freie Diskussion“. Damit traf die Bank direkt ins Schwarze. Nicht nur die Massenmedien stürzten sich auf den skurrilen Social-Media-Shitstorm, sondern auch so mancher Fleischliebhaber. Bemängelt wurde vor allem der aggressive Ton, mit dem sich die Kritiker gegen ein Unternehmen wendeten, das im Grunde nichts falsch gemacht hatte. Bald sah sich die vegetarische Front einer Fleisch essenden Übermacht gegenüber – der Wind hatte sich gedreht.

ING-DiBa wusste den Vorfall für sich zu nutzen: „Völlig ohne Aufforderung haben sich unsere Kunden mit uns solidarisiert. Diese zufriedenen Kunden sind der Kern unserer starken Marke", betonte der Unternehmenssprecher.

Mein Pril – Mein Stil: Spülmittel mit Hähnchengeschmack

Immer wieder versucht man bei Henkel, mit limitierten Design-Editionen die Spülmittelproduktion anzukurbeln. Auch die Verbraucher sollen ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Das zumindest war die Kernidee der Social-Media-Kampagne „Mein Pril – Mein Stil“ aus dem Jahr 2011. Zwei von den Kunden entworfene Versionen der Pril-Flasche wollte Henkel auf den Markt bringen. Welches Design in die Produktion geht, durften die Verbraucher entscheiden. Angekündigt wurde der Idee als Crowdsourcing-Aktion.

Womit das Unternehmen nicht rechnete, war das „Troll“-Potenzial der Internetgemeinde. Statt dem schönsten Design den ersten Platz zu gönnen, wählten die Teilnehmer der Abstimmung den skurrilsten Entwurf aufs Siegertreppchen. Eine Flasche mit braunem Etikett und der krakeligen Aufschrift „Schmeckt lecker nach Hähnchen“.

So hatte man sich den Ausgang der Werbeaktion bei Henkel nicht vorgestellt. Statt den von den Usern gewählten Sieger in den Handel zu bringen, wählte eine fünfköpfige Jury aus den zehn beliebtesten Vorschlägen zwei unternehmensverträgliche Designs aus. Die Grillhähnchen-Flasche wurde übergangen. Zahlreiche Umfrageteilnehmer fühlten sich getäuscht und ließen ihrem Zorn über die vermeintliche Manipulation in Facebook- und Twitter-Posts freien Lauf. Heute weiß man auch bei Henkel: Niemand mag Spielverderber.

Wie man verpatzte Social-Media-Kampagnen trotz unvorhergesehener Nutzeraktivitäten zum Erfolg führt, zeigte hingegen das Versandhaus OTTO mit dem Hype um „Der Brigitte“. Als sich der nur notdürftig als Frau verkleidete Sascha Mörs überraschenderweise als Gewinner eines Facebook-Modelcontests herauskristallisierte, machte OTTO keinen Rückzieher und „Der Brigitte“ wurde zum neuen Gesicht der Facebook-Fanpage. Die Netzgemeinde war entzückt und das Unternehmen sammelte Pluspunkte.

Wendler-Shitstorm: Ein Schlagerstar im Kreuzfeuer

Das Phänomen Shitstorm beschränkt sich nicht auf gesichtslose Unternehmen. Auch Privatpersonen können ins Kreuzfeuer geraten. Besonders prädestiniert sind polarisierende Prominente wie der Schlagersänger Michael Wendler. Dieser sah sich nach einem Beitrag der RTL-Serie „Christopher Posch – Ich kämpfe für Ihr Recht“ mit einer regelrechten Anti-Wendler Kampagne konfrontiert.

Das Reality-TV-Format begleite einen Rechtstreit, in dem zwei Wendler-Fans dem Schlagersänger zur Last legten, sie im Rahmen der Eröffnung eines Wendler-Fan-Café auf Mallorca um 40.000 Euro betrogen zu haben. Der Wendler verlor vor dem Landgericht Duisburg und erntete einen Shitstorm: Noch am Abend der Ausstrahlung gründeten empörte Facebook-Nutzer die Anti-Fan-Gruppe „100.000 Menschen, die Michael Wendler scheiße finden“. Diese gewann zeitweise 300 Fans pro Minute und führte somit zu einem der schnellsten Shitstorms der deutschen Facebook-Geschichte.

Krisenkommunikation: professioneller Umgang mit Shitstorms

Wie die Shitstorm-Beispiele zeigen, entwickeln sich Empörungswellen im Internet aufgrund unterschiedlichster Ursachen. Die Eigendynamik sozialer Medien stellt für Betroffene eine Herausforderung dar. Und nicht immer lassen sich kritische Kommentare auf ein Fehlverhalten der adressierten Unternehmen oder Privatleute zurückführen. Einen allgemeinen Krisenplan nach dem Motto „So entgehen Sie dem Shitstorm“ lässt sich daher nicht entwickeln. PR-Strategen empfehlen Betroffenen jedoch, sich an gewisse Kommunikationsrichtlinien zu halten. Diese zielen in erster Linie darauf ab, die Wogen zu glätten und einer Eskalation der Situation entgegenzuwirken.

  •  Ruhe bewahren und Situation analysieren: Braut sich ein Shitstorm zusammen, neigen Unternehmen zu Überreaktionen. Bevor Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, gilt es jedoch, die Situation zu analysieren: Handelt es sich bei einem vermehrten Aufkommen negativer Kommentare tatsächlich um einen Shitstorm? Ist die Kritik möglicherweise berechtigt? Und welche Möglichkeiten bieten sich, die Kritiker zu besänftigen.
  • Zensur vermeiden: Zu vermeiden sind Kursschlussreaktionen wie das Löschen unerwünschter Kommentare oder das Schließen ganzer Kommunikationskanäle. In einem Medium wie dem Internet verlagert sich die Krise in diesem Fall lediglich auf eine andere Plattform. Ein Beispiel dafür ist der Nestlé-Shitstorm. Auch rechtliche Schritte sollten gut überlegt sein. Meist schädigen Unternehmen ihr Image umso mehr, wenn sie Meinungen massiv zu unterdrücken versuchen, indem sie gegen Kritiker rechtlich vorgehen. Sind Angriffe ungerechtfertigt, aggressiv oder beleidigend disqualifizieren sich die Verfasser ohnehin selbst. Zudem besteht die Chance, dass die Community Gegenposition ergreift und sich wie im ING-DiBa-Shitstorm schützend vor das kritisierte Unternehmen stellt.
  • Kritische Stimmen ernst nehmen und Fehler eingestehen: Tritt ein Missstand ans Tageslicht, neigen Unternehmen zu Verschleierungstaktiken. Doch hagelt es bereits die ersten Negativkommentare, lässt sich das Social-Media-Gewitter durch Verneinen und Abstreiten in der Regel nicht mehr abwenden. Stattdessen gilt es, kritische Stimmen ernst zu nehmen und den Blick der Öffentlichkeit auf die Zukunft zu richten. Unternehmen, die offensichtliche Missstände leugnen oder totschweigen, ziehen den Shitstorm nur unnötig in die Länge. Auch das Umdeuten von Fakten oder die Ablehnung von Verantwortung kann weitere Shitstorms nach sich ziehen. Um sich möglichst schnell aus der Schusslinie zu bringen, ist es ratsam, Fehler einzugestehen und die möglichen Folgen zu erörtern, ohne diese zu relativieren. Zudem sollten Unternehmen einen Plan präsentieren, wie sie entstandene Schäden kompensieren und zukünftige vermeiden möchten.
  • Offen und umfangreich kommunizieren: Krisenkommunikation ist der Kampf um das gute Unternehmensimage. Hat selbiges Schaden genommen, hilft absolute Offenheit, das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen. Doch nicht nur diese wünschen sich im Fall einer Krise eine umfassende Aufklärung. Auch Stakeholder wie Mitarbeiter, Zulieferer, Geldgeber oder Aktionäre fordern relevante Informationen nach dem aktuellen Stand der Dinge. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt. Fehlt es an eigenem PR-Personal, empfiehlt es sich, externe Hilfe in Anspruch zu nehmen. Erfahrene Berater sind in der Lage die richtigen Ansprechpartner zu definieren, Multiplikatoren und Influencer zu gewinnen und Fakten zielgruppengerecht zu formulieren. Als No-Gos in der Krisenkommunikation gelten Arroganz, Ignoranz und mangelnde Betroffenheit.
  • Alle Kommunikationskanäle mit einbeziehen: Gerade in Krisenzeiten sollen Unternehmen Gesprächsbereitschaft signalisieren. Nur wer enttäuschten Kunden zeigt, dass ihre Probleme erst genommen werden, hat Chancen diese trotz Shitstorm zu halten. Dabei empfiehlt es sich, alle verfügbaren Kommunikationskanäle mit einzubeziehen. Während sich Pressekonferenzen und schriftlichen Mitteilungen anbieten, um öffentlich Stellung zu beziehen, stellen Service-Hotlines und Social-Media-Kanäle eine Möglichkeit dar, Betroffenen auf einer menschlicher Ebene Rede und Antwort zu stehen. Dass der Aufbau entsprechender Kommunikationsstrukturen mit hohen Kosten einhergehen kann, zeigt der Shitstorm gegen DELL.

Gelingt es Unternehmen rechtzeitig zu reagieren und Fehler offen und ehrlich zu kommunizieren, ist es möglich, gestärkt aus einer Krise hervorzugehen. Dies zeigen beispielsweise Rückrufaktionen, bei denen Hersteller oder Einzelhändler kompetent und proaktiv gehandelt haben. Hat ein Skandal zu einem Umdenken geführt und tief greifende Umstrukturierungen oder gar eine Neuausrichtung in der Unternehmenspolitik bewirkt, kann dies durchaus Sympathiepunkte bringen und die Bekanntheit einer Marke steigern.

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