Welche Auswirkungen Banner Blindness auf das Onlinemarketing hat
Am 27. Oktober 1994 ging das erste Werbebanner auf Wired.com online. Die Seite gehörte dem Webmagazin HotWired, einem digitalen Ableger des noch heute existierenden Wired-Magazins. Auftraggeber dieser ersten Bannerwerbung war der amerikanische Telekommunikationskonzern AT&T. Neben der in bunter Schriftfarbe gestellten Frage „Have you ever clicked your mouse right HERE?“ („Haben Sie je mit Ihrer Maus HIERHIN geklickt?“) enthielt die Onlineanzeige einen wegweisenden Pfeil, der die prophetische Antwort „YOU WILL“ („Sie werden [es tun]“) in weißer Farbe präsentierte. Ein Firmenlogo fehlte zwar, doch der „YOU WILL“-Slogan zierte auch die damalige TV-Kampagne des Konzerns.
Die Schaltung des Werbebanners sollte sich für beide Parteien lohnen: Da die Website-Besucher durchweg positiv reagierten und auf die Anzeige klickten, erzielte AT&T die erwünschte Werbewirkung. Das Magazin machte mit seinem innovativen Bannerkonzept auf sich aufmerksam und konnte dadurch bereits innerhalb eines Jahres Gewinn durch die Werbeeinnahmen erzielen. Die Click-Through-Rate (CTR) dieses ersten Werbebanners betrug im Übrigen sagenhafte 44 Prozent. Von 100 Usern, die die Anzeige zu sehen bekamen, klickten also 44 diese an – ein Wert, von dem Marketer heutzutage nur träumen können.
Nimmt man die Statistiken des Google Display Benchmarks Tools zu Hilfe, stellt man fest, dass im Schnitt nur noch einer oder zwei von 1.000 Nutzern auf präsentierte Onlineanzeigen verschiedenster Formate klicken. Zu den zahlreichen Faktoren, die diese Entwicklung bedingt haben, zählt auch ein Phänomen, das den Namen „Banner Blindness“ trägt, zu Deutsch „Banner-Blindheit“.
Was ist Banner Blindness?
Banner Blindness beschreibt ein Phänomen, bei dem Website-Besucher vorhandene Werbebanner oder bannerähnliche Elemente bewusst oder unbewusst ignorieren. Der Begriff wurde vor allem durch die Arbeit von Benway und Lane im Jahr 1998 geprägt. In ihrer Web-Usability-Studie sollten die Testpersonen auf speziell programmierten Seiten in einem privaten Netzwerk gezielt nach bestimmten Informationen suchen, die teilweise bequem per Klick auf entsprechende Banner abgerufen werden konnten. Diese ähnelten in vielen Fällen den bekannten Werbebannern, unterschieden sich mitunter aber auch klar von diesen. Das äußere Erscheinungsbild spielte für die Testpersonen jedoch keine Rolle, denn das Experiment bestätigte die Annahmen, dass die Banner größtenteils ignoriert und stattdessen die ebenfalls auf den Seiten eingebauten Text-Links präferiert werden würden. Ein weiteres Ergebnis war die Erkenntnis, dass weit oben platzierte Banner häufiger unbeachtet blieben als weiter unten positionierte. Seit dieser Banner-Blindness-Studie hat das Phänomen erheblich zugenommen, was nicht zuletzt die stark sinkenden Click-Through-Rates der Display-Werbung unter Beweis stellen.
Was sind die Gründe für die zunehmende Banner-„Erblindung“?
Ursachen und Erklärungsansätze für die stetige Zunahme der Banner-Blindness gibt es viele: Zum einen ist das interneterfahrene Gehirn der Nutzer mittlerweile dahingehend geschult, dass gewisse Website-Elemente wie Banner, große Bilder etc. gleichbedeutend mit Werbung sind – einem Inhalt, nach dem der zielgerichtete User sicherlich nicht gesucht hat. Das unbewusste Ausblenden der typischen Bereiche und Elemente ist in der Konsequenz eine logische Reaktion. Das wird im Übrigen auch dadurch bestätigt, dass Nutzer, die ohne ein konkretes Vorhaben im Web unterwegs sind, nachgewiesenermaßen wesentlich häufiger auf Werbeanzeigen klicken. Verstärkt wurde die Banner-Blindheit vor allem im Zuge der sogenannten Fake-Dialog-Boxen. Als Fehlermeldung, Gewinnbestätigung oder Viruswarnung inklusive der typischen „Ok“- und „Cancel“-Buttons getarnt, wurden den überraschten Nutzern beim Klick plötzlich Werbeanzeigen präsentiert oder deren Computer mit Malware infiltriert – eine Technik, die noch heute zur Anwendung kommt und neben Pop-ups und lang ladenden Werbeanzeigen zu den drei unbeliebtesten Werbestrategien zählt. Letztlich ist Banner Blindness auch das Resultat der stark zunehmenden Reizüberflutung, die Websites ihren Besuchern liefern. Ein Fakt, der auch für Fernseh- und Printwerbung immer stärker in den Fokus gerät und die Frage nach der unterbewussten Wahrnehmung der Werbeanzeigen zu einem wichtigen Forschungsthema gemacht hat.
Banner-Blindheit – auch in der Web-Entwicklung ein großes Thema
Die Problematik der Banner Blindness ist schon lange nicht mehr auf Werbeanzeigen beschränkt: Auch Webentwickler sind mittlerweile dazu gezwungen, sich mit dem Phänomen auseinanderzusetzen. Da Website-Nutzer unbewusst entscheiden, welche Elemente sie wahrnehmen und welche nicht, blenden sie auch Inhalte aus, bei denen es sich gar nicht um Werbung handelt. Insbesondere große und bannerähnliche Bilder sowie die typischen Positionen von Werbung wie die rechte Spalte oder der Kopfbereich erhalten dadurch deutlich weniger Aufmerksamkeit. Entwickler haben folgerichtig einerseits die Aufgabe, die entsprechenden Bereiche zu meiden bzw. mit weniger wichtigen Inhalten zu versehen. Andererseits müssen sie hinsichtlich der Form und Platzierung der Bilder besonders vorsichtig sein und deren Wirkung wenn möglich testen. Letzteres hört sich leichter an als gesagt: Es gibt zwar die aktuell sehr gefragte Möglichkeit des A/B-Testings, also der Vorabpräsentation zweier verschiedener Versionen eines Webprojekts zu Testzwecken. Allerdings handelt es sich bei diesem Testverfahren eher um eine Evaluation der allgemeinen Usability einer Website. Die Auswirkung der Banner-Blindheit herauszufiltern, ist unter Umständen zwar möglich, mit absoluter Sicherheit beweisen lässt sich aber nicht, dass diese ausschlaggebend für das Verhalten der User ist. Aus diesem Grund sollten sich Entwickler bereits im Vorhinein die Frage stellen, welche Elemente sie selbst als werbeähnlich bzw. unwichtig auffassen. So können sie eventuelle Stolperfallen einerseits schon vor der eigentlichen Testphase beseitigen und haben andererseits potenziell kritische Elemente besser im Blick. Hilfreich bei der Entwicklung sind außerdem verschiedene, in den letzten Jahren durchgeführte Eye-Tracking-Studien. Dabei werden die Bewegungen der Augen mithilfe von Geräten aufgezeichnet und in sogenannten Heatmaps visuell dargestellt. Die Methode kam vor allem in Neurowissenschaften, Linguistik und Produktdesign bereits zur Anwendung und wurde u. a. von Jakob Nielsen zu einer umfangreichen Web-Usability-Studie genutzt. Die Ergebnisse, die er 2009 in seinem Werk „Eyetracking Web Usability“ präsentierte, bestätigten die Banner Blindness. Heute offerieren verschiedene Anbieter wie EyeQuant sogar eine Eye-Tracking-Analyse Ihres Webprojekts, in der Regel mithilfe einer Software, die auf Basis wissenschaftlicher Daten vorgeht. Andere Tools wie Mouseflow erzeugen Heatmaps auf Basis von Mausbewegungen.
Native Advertising soll Licht ins Dunkel bringen
Während Webentwickler die Banner-Blindheit also gezielt umgehen können, müssen die kreativen Köpfe der Werbebranche gänzlich neue Wege finden, um Internetusern ihre Botschaften zu übermitteln. Denn unabhängig von der Banner Blindness vertrauen viele Nutzer heute auch auf Werbeblocker, die die als nervig und unseriös empfundene Bannerwerbung sowie Pop-ups nicht nur aus der Wahrnehmung verbannen, sondern deren Anzeige auch tatsächlich unterbinden. Für die Click-Through-Rate hat das zwar keine Auswirkung, denn diese resultiert nur aus Anzeigen, die auch tatsächlich ausgeliefert worden sind, doch für Internetwerbung im Allgemeinen stellen die blockierenden Tools ein ernsthaftes Problem dar.
Und auch wenn neuere Entwicklungen darauf abzielen, dass Nutzer nur eingeschränkten Zugriff auf Inhalte erhalten, wenn sie einen solchen Filter nutzen, lässt sich das Problem der Banner-Blindheit für Werbende nur lösen, indem sie nach alternativen, innovativen Ideen suchen. Eine in diesem Zusammenhang oft genannte, aus den USA stammende Strategie ist das sogenannte Native Advertising. Kernpunkt dieses Konzepts ist es, Werbung so geschickt in die allgemeinen Inhalte einer Website bzw. Webanwendung zu integrieren, dass sie vom User zunächst gar nicht als solche wahrgenommen wird. Aus diesem Grund sind die nativen Werbeanzeigen dem jeweiligen Inhaltstyp möglichst ähnlich – ob in Form von Texten, Blogbeiträgen oder Videos.
Vor allem auf mobilen Geräten soll Native Advertising künftig dazu beitragen, Onlinewerbung wiederzubeleben und erneut zu einem ertragreichen und wachstumsfördernden Faktor für Unternehmen zu machen. Kann das Phänomen der Banner Blindness zwar nur teilweise auf die Webnutzung mit Smartphone, Tablet und Co. übertragen werden, sind Marketer allein aufgrund der kleinen Displays zu Werbebanner-Alternativen gezwungen – auch wenn Pop-up-Anzeigen aus gleichem Grund und in Kombination mit der ungenauen Bedienung per Touchscreen-Technologie etwas erfolgreicher sind als in Desktop-Umgebungen.
Typische Beispiele für Native Advertising finden Sie im Übrigen schon zu Hauf in den sozialen Netzwerken. Ob Facebook, Twitter oder Pinterest: Zum einen erscheinen Werbeanzeigen im Stil redaktioneller Beiträge (Artikel, Bilder, Videos etc.) automatisch in der Timeline von Nutzern, deren digitales Profil sie als vielversprechende, potenzielle Konsumenten enttarnt hat. Zum anderen beteiligen sich Influencer wie Sportler, Schauspieler oder Models aktiv am Werbegeschehen, indem sie beiläufig Marken oder Produkte in ihren Postings präsentieren. Um die Banner-Blindheit der Internetnutzer zu bekämpfen heißt es also – wie so oft im Marketing – kreativ zu werden und den Konsumenten immer einen Schritt voraus zu sein.