Second Screen: Ein Bildschirm ist nicht genug
Die Mediennutzung hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Immer mehr Menschen greifen mit ihren Smartphones oder Tablets auf das mobile Internet zu. Der Begriff Second Screen – oft auch Multi-Screen, Social TV oder Second-Screen-TV – bezeichnet die Nutzung eines zweiten Bildschirms parallel zum TV-Programm. Man greift also aufs Smartphone, Tablet oder den Laptop zurück, um Informationen zum Fernsehprogramm aufzurufen oder sich in den sozialen Netzwerken darüber auszutauschen.
Mittlerweile stehen Nutzern viele spezielle Apps, Widgets oder Onlineservices zur Verfügung, die auf die Parallelnutzung zugeschnitten sind. Ziel der Macher ist es, das TV-Programm interaktiver gestalten, indem die verschiedenen Kanäle miteinander verknüpft werden. Für Werbetreibende ist der zusätzliche Bildschirm eine große Chance. Während der Endverbraucher bequem mit Smartphone und Tablet vor dem TV sitzt, sind also auch Marketer gefragt, diesen neuen Kanal für ihre Zwecke zu nutzen.
Immer online: Veränderte Mediennutzung
Das Phänomen Second Screen hängt mit den neuen, veränderten Nutzungsgewohnheiten zusammen, die durch die starke Verbreitung mobiler Endgeräte entstanden sind. Ob beim Einkaufen, in der Bahn, beim Sport oder eben abends auf dem Sofa beim Fernsehen: Überall kann man das Smartphone oder Tablet zur Hand nehmen. Einige wollen die Werbepause mit einem Blick ins Web überbrücken, andere suchen gezielt nach Informationen zum laufenden Programm. Wie heißt der Schauspieler aus der Lieblingsserie nochmal? Wie lautet die Antwort auf die knifflige Frage in der Quizshow? Und wer steht heute alles im Aufgebot für das Länderspiel? Auf Facebook, Twitter und Co. kommentiert und diskutiert vor allem die junge Zielgruppe über die jeweiligen medialen Inhalte, meist versehen mit dem entsprechenden Hashtag. Doch nicht nur auf den Facebook-Fanpages und Social-Web-Auftritten der Serien oder Schauspieler findet man Kommentare. Auch speziell für den Austausch gedachte Fan-Plattformen sind hochfrequentiert. Hinzu kommen Apps, die eigens für Serien oder Filme entwickelt wurden.
Wer hat die mediale Vorherrschaft im Wohnzimmer?
Dass die Aufmerksamkeit in den heimischen Wohnzimmern nicht mehr ausschließlich auf den Fernseher gerichtet ist und sich der zweite Bildschirm nach und nach etabliert, zeigen auch Second-Screen-Studien. Laut der ARD/ZDF-Onlinestudie 2015 gaben 2013 schon 31 Prozent der Befragten an, Fernsehen und Internet mindestens einmal pro Woche parallel zu nutzen. Zwei Jahre später waren es 43 Prozent der Befragten. Bei der jüngeren Zielgruppe, dem Publikum von 14 bis 29 Jahren, ist die Second-Screen-Nutzung weiter verbreitet: Bereits 2013 waren es 52 Prozent, 2015 dann 56 Prozent der Befragten, die neben dem TV aufs Internet zurückgriffen. Diese Entwicklungen wollen sich sowohl TV-Sender als auch Werbetreibende zunutze machen.
Social TV: Die App zum TV-Programm
Mittlerweile bieten viele Fernsehsender eigene Apps an, die passend zum TV-Programm zum Download zur Verfügung stehen. Ein Beispiel ist der Privatsender RTL mit der App „RTL Inside“. Die kostenlose Anwendung ist im App-Store verfügbar und dient als Begleit-App zum RTL-Programm. Die App wird im TV-Programm beworben – durch Einblendungen des App-Symbols während des laufenden Programms sollen Nutzer zur Interaktion motiviert werden.
Die öffentlich-rechtlichen Sender stehen dem in nichts nach. Das ZDF hat eine eigene Sender-App im App-Store. Das Programm ist ausgestattet mit einigen Second-Screen-Funktionen für bestimmte Formate. Es gibt z. B. spezielle Funktionen zu Champions-League-Übertragungen. Die ARD hat im Frühjahr 2016 eine eigens für die Kult-Krimireihe Tatort entwickelte App veröffentlicht. Dort finden Fans Informationen und einige interaktive Elemente. Diese Ansätze zeigen, wie die Verknüpfung vom klassischen Medium TV und innovativen digitalen Strategien in Zukunft aussehen könnte. Doch auch zum Onlinemarketing-Mix kann Second-Screen-Marketing einen positiven Beitrag leisten.
Werbechance Second-Screen-Marketing
Immer mehr Unternehmen aus dem Onlinebereich, vor allem Onlinehändler, setzen verstärkt auf TV-Werbung. Geht diesen Werbern nicht ein Großteil der Zielgruppe verloren, wenn dieser in der Werbepause zum Smartphone wechselt? Nicht, wenn sie den potenziellen Kunden mit ihrer Werbebotschaft auch auf dem zweiten Screen erreichen. Das Stichwort lautet hier TV-synchrone Onlinewerbung.
Denn Unternehmen können die Parallelnutzung bzw. den Wechsel von einem zum anderen Screen für eine nahtlose Brandstory nutzen. Grundlage dafür ist die Synchronisation der beiden Kanäle, die mithilfe verschiedener Technologien möglich ist. Dafür setzt man meist ACR (Automatic Content Recognition) ein. Mit ACR erfasst man TV-Werbung, sobald sie ausgestrahlt wird. Die Real-Time-Erfassung der TV-Werbung ist gekoppelt an Werbe- und Analytics-Plattformen. Marketer können so synchron zum TV auch digitale Kampagnen aktivieren. Es ist z. B. möglich, TV-Werbekampagnen mit Suchmaschinenwerbung (SEA) zu synchronisieren.
Im Idealfall wird die Werbebotschaft verstärkt, wenn sie auf beiden Bildschirmen präsent ist. So gewinnt man die Aufmerksamkeit der Zuschauer zurück, die durch den Medienwechsel sonst möglicherweise verloren ginge. Die Wiederholung erhöht den Werbeeffekt und Erinnerungswert der Botschaften. Durch die Brücke zum Onlinebereich macht man die Wirkung der TV-Botschaften außerdem messbar. Über die KPIs der Website lassen sich die Effekte verfolgen, der Zuschauer wird als potenzieller Kunde transparenter. Man testet so effektiv das Zusammenspiel von TV-Kampagnen und Onlinemaßnahmen und kann es anschließend optimieren.
Second Screen als Herausforderung für Marketer
In Abstimmung mit TV-Spots setzt Onlinewerbung Akzente und verstärkt die Werbebotschaften eines Unternehmens. Nutzer, die ohnehin Informationen suchen oder unter Umständen sogar durch einen TV-Spot dazu angeregt wurden, nach Produkten suchen, holt man so direkt ab. Mit Second-Screen-Marketing bleibt man also nah am Nutzer und seinen Bedürfnissen.
Natürlich besteht auch die Gefahr, den gegenteiligen Effekt hervorzurufen. Die Werbeüberflutung im TV nehmen heute viele Zuschauer als störend und nervig wahr. Flüchtet der Nutzer dann vor der TV-Werbung ins mobile Netz und wird dort wieder mit Werbebotschaften konfrontiert, nimmt er das unter Umständen negativ auf. Der Nutzer versperrt sich gegenüber den Werbebotschaften und entwickelt eine Art „Bannerblindness“. Als Werbetreibender den richtigen Mittelweg zu finden, wird in den nächsten Jahren eine große Herausforderung im Onlinemarketing bleiben.