Societas Europaea (SE) / Europäische Gesellschaft
Nicht nur Großunternehmen, auch kleinere Firmen beschränken sich heute nicht mehr ausschließlich auf ihr nationales Umfeld. Die allgegenwärtige Globalisierung und das Internet weiten den Blick über nationale Grenzen hinaus. Deshalb kann es durchaus sinnvoll sein, auch bei der Wahl der Rechtsform international zu denken. Zwar findet ein Großteil unserer nationalen Unternehmensformen weltweit Anerkennung, doch verspricht die Societas Europaea (SE) – zu Deutsch: Europäische Gesellschaft – darüber hinaus besondere Erleichterungen im europäischen Geschäft.
Die Rechtsform SE gibt es in Deutschland schon seit Ende 2004, als das zugehörige „SE-Ausführungsgesetz“ (SEAG) in Kraft trat. Doch noch immer haben sich vergleichsweise wenige Unternehmen dafür entschieden, wenngleich ihre Anzahl in den letzten Jahren zugenommen hat (mit bekannten Beispielen wie Puma, SAP oder Zalando). Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass die Gründung einer SE ein relativ komplexes Unterfangen ist, das zudem einen bereits vorhandenen internationalen Bezug voraussetzt. Als besonderer Vorteil dieser Rechtsform gilt hierzulande die Tatsache, dass sie das monistische Verwaltungsmodell mit einem Verwaltungsrat als einzigem Verwaltungsorgan zulässt, das es in Deutschland sonst nicht gibt.
Was ist die Societas Europaea?
Bei manchen Firmennamen haben Sie vielleicht schon anstelle der gewohnten AG die Rechtsform SE gesehen, aber nicht genau gewusst, was dahintersteckt. Tatsache ist: Unternehmen, die ihren Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat haben, können unter bestimmten Bedingungen bei ihrer Gründung die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft wählen.
Die Societas Europaea oder Europäische Gesellschaft ist eine Rechtsform für Aktiengesellschaften innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Sie wurde im Oktober 2004 von der EU mit ihrer Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 geschaffen und ist für Unternehmen bestimmt, die innerhalb des EWR international aktiv sind oder dies beabsichtigen. Hierfür bietet die Rechtsform besondere gesellschaftsrechtliche Vorteile.
Das gezeichnete Startkapital einer solchen Gesellschaft hat die Form von Aktien und muss mindestens 120.000 Euro betragen. Diese Wertpapiere lassen sich wie gewohnt an der Börse handeln. Für das Unternehmen bietet diese Rechtsform den Vorteil, ohne großen Aufwand in der gesamten Europäischen Union auftreten zu können. So ist es für eine SE-Gesellschaft sehr viel einfacher, neue Niederlassungen im EU-Ausland zu eröffnen.
Soll der Sitz eines Unternehmens in ein anderes EU-Land verlegt werden, fällt dies mit einer Societas Europaea deutlich leichter. Unter normalen Umständen muss ein Unternehmen mit einer nationalen Rechtsform im neuen Land eine komplett neue Firma gründen – mit entsprechend hohem Aufwand. Eine SE hat dagegen die Freiheit, ihren Sitz innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR – EU sowie Island, Liechtenstein und Norwegen) beliebig zu verlegen. Auch die Fusion zweier Unternehmen ist einfacher, wenn beide die Rechtsform SE haben.
Allerdings ist eine deutsche SE-Gesellschaft nicht in allen Details mit ihren Pendants in anderen Ländern identisch. Die entsprechende EU-Verordnung lässt in manchen Bereichen Lücken, die jeweils durch das nationale Unternehmensrecht sowie durch das bereits vorhandene EU-Recht aufgefüllt werden. Das gilt u. a. für das Steuerrecht, das Wettbewerbsrecht, den gewerblichen Rechtsschutz und das Konkursrecht.
Eine Reihe handelsrechtlicher Elemente wird auf nationaler Ebene geregelt, obwohl es sich bei der SE um eine internationale Rechtsform handelt. Da es z. B. kein europaweites Handelsregister gibt, werden auch SE-Gesellschaften in nationale Handelsregister aufgenommen. Ausschlaggebend ist das Land des Hauptsitzes. Im Anschluss wird die Unternehmensgründung über das Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gemacht. Verlegt das Unternehmen seinen Sitz in ein anderes Land, muss auch der Registereintrag neu erfolgen.
Abgesehen von allen konkreten Vorteilen vermitteln Sie mit der Rechtsform SE auch ein gewisses Image. Wenn Sie als Societas Europaea auftreten, unterstreichen Sie eine internationale Ausrichtung Ihres Geschäftskonzepts.
Wichtige Merkmale der Societas Europaea
Die Europäische Gesellschaft hat eine Reihe von Merkmalen, die diese Rechtsform besonders machen. Da es sich um europäisches Recht handelt, ist manches davon für einen Unternehmer, der bisher nur national aktiv war, vielleicht noch neu.
Gründung
Aus dem Nichts lässt sich eine Societas Europaea nicht aufbauen. Für die Gründung einer SE sehen EU-Verordnung und deutsches Gesetz verschiedene Möglichkeiten vor, doch bleibt sie in allen Fällen bereits vorhandenen Gesellschaften vorbehalten. Darüber hinaus spiegeln die Optionen den internationalen Charakter der Rechtsform wider. Auf diesen Wegen lässt sich eine Europäische Gesellschaft formen:
- Durch Verschmelzung können zwei oder mehr Aktiengesellschaften eine SE gründen, von denen mindestens zwei aus verschiedenen Ländern des EWR stammen.
- Eine gemeinsame Holding-SE können mehrere Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHs) gründen, von denen mindestens zwei aus verschiedenen EWR-Ländern kommen oder seit mindestens zwei Jahren Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen in einem anderen EWR-Land haben.
- Eine gemeinsame Tochter-SE können mehrere Gesellschaften aller Art (auch Personengesellschaften) sowie juristische Personen (Kapitalgesellschaften, Vereine, Stiftungen u. a.) gründen, von denen mindestens zwei aus verschiedenen EWR-Ländern kommen oder seit mindestens zwei Jahren Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen in einem anderen EWR-Land haben.
- In eine SE umwandeln lässt sich eine Aktiengesellschaft, wenn sie seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen EWR-Land hat.
Im Übrigen kann ein EWR-Land vorsehen, dass sich eine Gesellschaft aus diesem Land auch dann an einer SE beteiligen darf, wenn sie in dem Land aktiv ist, ihre Hauptverwaltung aber im EWR-Ausland hat.
Eher nicht für Unternehmensgründer
In allen Fällen sind die Hürden für die Gründung einer Europäischen Gesellschaft vergleichsweise hoch angesetzt. Wer ein Unternehmen starten will und dabei eine SE ins Auge fasst, muss entweder bereits mit einer Firma international Fuß gefasst haben oder sich zunächst nach einem Partner im Ausland umsehen. Auch sprechen das verlangte Startkapital von 120.000 Euro und die Aktiengesellschaft als Rechtsform ein typisches Start-up in der Anfangsphase eher nicht an.
Unternehmensleitung
Aufgrund ihres internationalen Charakters bietet die Europäische Gesellschaft eine Besonderheit, die zumindest im deutschen Handelsrecht zuvor unbekannt war: Wer eine SE ins Leben rufen will, kann sich entscheiden, nach welchem Prinzip sie geleitet werden soll: dualistisch oder monistisch. Beim dualistischen Modell, das sonst in Deutschland üblich ist, sind die Geschäftsführung und das Kontrollorgan voneinander getrennt: Es gibt einen Vorstand und einen Aufsichtsrat. Das monistische System, das man besonders im angelsächsischen Raum findet, kennt hingegen nur ein Führungsorgan, in dem sich Exekutive und Aufsicht verbinden: den Verwaltungsrat (auch als Board of Directors bekannt). Hier finden sich Direktoren mit und ohne Führungsbefugnis (executive und non-executive) zusammen.
Beide Modelle haben ihre Vor- und Nachteile: Im dualistischen System sind die Leitung des Unternehmens und die Kontrolle dieser Leitung klar getrennt, sodass hier mehr Transparenz herrscht. Andererseits erhöht die Parallelität der zwei Organe den organisatorischen Aufwand und bremst die Handlungsfähigkeit des Unternehmens. Das monistische System funktioniert sehr viel einfacher: Die Unternehmensleitung ist kleiner und damit zugleich kostengünstiger und handlungsfähiger.
Laut Gesetz kann bei bis zu drei Millionen Euro Grundkapital eine einzelne Person den Verwaltungsrat bilden und auch noch als Geschäftsführer fungieren (darüber hinaus mindestens drei, auch die Arbeitnehmer-Mitbestimmung kann hier einen Einfluss haben). Tatsächlich gilt gerade in Deutschland die schlankere Unternehmensleitung als Grund für den Wechsel zur SE. Dafür sind die Entscheidungsprozesse im Unternehmen aber weniger transparent.
Rechnungslegung
Die Rechnungslegung einer Europäischen Gesellschaft folgt dem nationalen Recht des Landes, in dem sie ihren Sitz hat. In Deutschland gelten die entsprechenden Regeln für eine hiesige Aktiengesellschaft auch für eine Societas Europaea. Auch im Fall der Insolvenz oder einer regulären Auflösung kommt lokales Recht zur Anwendung.
Selbstverständlich müssen auch die vorgeschriebenen Steuern in dem Land entrichtet werden, in dem die SE ihren Sitz hat.
Mitbestimmung
In die Kritik geriet die Societas Europaea zunächst von Gewerkschaftsseite. Man warf ihr vor, der Beschneidung von Arbeitnehmerrechten Vorschub zu leisten. Tatsächlich hat sich die EU-Kommission bemüht, bei der Ausformung der entsprechenden Verordnungen der unterschiedlichen Ausgestaltung der Arbeitnehmerrechte in den verschiedenen EU-Ländern Rechnung zu tragen und im Zweifel stets der jeweils weitergehenden Regelung Vorrang zu gewähren.
Auf europäischer Ebene regelt die Richtlinie 2001/86/EG die Beteiligung der Arbeitnehmer speziell in der Europäischen Gesellschaft. Auf nationaler Ebene werden die Bestimmungen in Deutschland durch das sogenannte SE-Beteiligungsgesetz (Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft – SEBG) konkret ausformuliert. Mitbestimmung findet demnach sowohl in Form eines Betriebsrats als auch direkt im jeweiligen Verwaltungsorgan statt.
Grundsätzlich bestimmen die gesetzlichen Vorschriften, dass die Planung und Gründung einer Societas Europaea nicht ohne die Information und Mitwirkung der betroffenen Mitarbeiter erfolgen kann. Dazu soll bzw. sollen die Firmenleitung(en) zunächst die betroffenen Mitarbeiter über die geplante SE informieren und dann mit ihnen in einem eigens eingerichteten „besonderen Verhandlungsgremium“, in dem die Mitarbeiter nach einem genauen Schlüssel vertreten sind, über die Mitbestimmung in der vorgesehenen neuen Gesellschaft verhandeln.
Diese Verhandlungen können bis zu sechs Monate dauern – oder mit einvernehmlicher Zustimmung des Gremiums auch bis zu ein Jahr lang. Wenn das Gremium kein Verhandlungsergebnis erzielt, dann kommt es zu einer sogenannten Auffangregelung. Dabei sollen vorher gültige Mitbestimmungsrechte weitestgehend auch in einer neuen Europäischen Gesellschaft gelten. Ziel ist es dabei, den jeweils höchsten Grad der Mitbestimmung der verschiedenen beteiligten Gesellschaften auch für die SE zu realisieren.
Societas Europaea von der Stange
In der Praxis erweist sich nicht zuletzt das zeitraubende Aushandeln der Arbeitnehmerrechte als Hindernis für die Bildung von SE-Gesellschaften. Die mit den unterschiedlichen nationalen Regelungen einhergehende Rechtsunsicherheit wird dabei als zusätzliche Hürde genannt. Jedenfalls treten inzwischen verschiedene Beratungsunternehmen auf, die fertige Europäische Gesellschaften als sogenannte Vorratsgesellschaften zum Kauf anbieten. Sie haben keine Mitarbeiter, sind aber bereits im Handelsregister eingetragen, sodass man sich die formale Prozedur der Mitarbeiterbeteiligung sparen kann, die sonst vor der Gründung der Gesellschaft erfolgen muss.
Vor- und Nachteile der Rechtsform SE
Wer europaweit unternehmerisch tätig ist, kann von der Rechtsform SE profitieren. Mit ihr fällt es z. B. viel leichter, den Sitz in einen anderen EU-Mitgliedsstaat zu verlegen oder international mit anderen Gesellschaften in einer Holding zusammenzuarbeiten. So können auch Gewinne, die in unterschiedlichen Ländern erwirtschaftet wurden, ohne Gewinnausschüttungen innerhalb einer Societas Europaea verwendet werden.
Gegen die Rechtsform spricht für kleinere Unternehmen vor allem das vergleichsweise hohe Stammkapital: 120.000 Euro sind etwa für ein Start-up in der Anfangsphase nicht unbedingt machbar. Andere – auch große – Unternehmen sehen gerade in den unabhängigen, nationalen Tochtergesellschaften (im Gegensatz zur Tochter-SE) einen großen Vorteil: So ist bei einem Misserfolg in einem Land nicht gleich die komplette Gesellschaft in Gefahr.
Einen weiteren Nachteil sehen viele in den nationalen Unterschieden bei der Ausgestaltung der SE: Sie soll zwar die internationale unternehmerische Arbeit vereinfachen. Da das zugehörige Recht an vielen Stellen national aufgefüllt werden muss, kommen aber vielfach auch unterschiedliche Regelungen zum Tragen, und das erhöht wiederum den Aufwand und die Unsicherheiten. In einem Bericht der EU-Kommission von 2010 über Erfahrungen mit der SE-Verordnung heißt es sogar: „Das SE-Statut schafft keine einheitliche SE-Gesellschaftsform in der Europäischen Union, sondern 27 verschiedene SE-Typen.“
Vorteile | Nachteile |
Leichte Gründung von europaweiten Tochtergesellschaften | Strenge Gründungskriterien |
Wahl zwischen dualistischem und monistischem Leitungsmodell | Hoher Aufwand und Rechtsunsicherheit bei der Gründung |
Gründung einer internationalen Holding möglich | Hohes Startkapital erforderlich |
Einfache Verlegung des Unternehmenssitzes | Nationale Unterschiede |
Rechtsform vermittelt ein europäisches Image |
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